Titel der Ausgabe 
MEDAON 4 (2010), 7
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zweimal jährlich
Preis
open access, Online-Zeitschrift

 

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Institution
MEDAON - Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung
Land
Deutschland
c/o
Redaktion MEDAON, HATiKVA e. V., Pulsnitzer Str. 10, 01099 Dresden, Tel. 0351/8020489,
Von
Fache, Thomas

Editorial

In der Oktober 2010-Ausgabe von Medaon diskutiert Sebastian Voigt (Leipzig) an den prominenten Biographien Daniel Cohn-Bendits und Pierre Goldmans die politische Radikalisierung vieler jüdischer Intellektueller im Pariser Mai von 1968 und fragt nach der Relevanz einer spezifischen Erfahrungsgeschichte zwischen Shoah und Résistance für diese Entwicklung.

Angela Schwarz (Hamburg) zeichnet in ihrem Beitrag die Genese des jüdischen Stiftungswesens in Hamburg seit dem frühen 18. Jahrhundert nach. So zeigt sie die Bedingungen des – gemessen am Bevölkerungsanteil – überproportionalen Engagements von Juden auf und verortet deren besondere Sensibilität für die sozialen Probleme im Urbanisierungsprozess des 19. Jahrhunderts in einem ausgeprägten präventiven Charakter jüdischer Wohltätigkeit.

Aspekten des eigensinnigen diskursiven Integrationsprozesses von russischsprachigen Zuwanderern in Israel zwischen 1989 und 2000 widmet sich Lou Bohlen (Bochum). Unter Rückgriff auf vor Ort geführte Interviews und russischsprachige Tagespresse präsentiert sie eine Vielzahl migrantischer Identitätsentwürfe, die sich dem normativen Gebot des israelischen Staates von „Heimat“ und „Diaspora“ nicht unterwerfen.

Berna Pekesen (Bochum) skizziert bei schwieriger Quellenlage die antijüdischen Pogrome im türkischen Ostthrakien und in der Dardanellenregion im Sommer 1934. Sie kontextualisiert diese in der türkischen Nationsbildung, insbesondere in der Minderheiten-, Siedlungs- und Bevölkerungspolitik der kemalistischen Republik, und verweist auf die ausbleibende Beachtung der historischen Ereignisse in der Forschung.

Die Darstellung Überlebender der Shoah im Spielfilm steht im Mittelpunkt der Analyse von Asal Dardan (Berlin). Sie spürt der Repräsentation der lebensweltlichen Erschütterung auch über die Befreiung von nationalsozialistischer Verfolgung hinaus in Arthur Millers nahezu vergessenem Werk „The Man in the Glass Booth“ (USA 1975) nach.

Johannes Wiggering (Leipzig) gibt Einblicke in die Rolle jüdischer Wissenschaftler und Funktionäre in der Gründungsphase der Weißrussischen Staatsuniversität in Minsk Anfang der 1920er Jahre vor dem Hintergrund des Konfliktes um die Ausgestaltung des akademischen Ortes zwischen nationalkulturellem Zentrum und seiner Instrumentalisierung als Bildungsstätte sozialistischer Kader.

Simone Gigliotti (Wellington, Neuseeland) und Marc Masurovsky (Washington D.C.) stellen Konzept und derzeitigen Arbeitsstand einer Fallstudie zu einzelnen Evakuationen des Vernichtungslagers Auschwitz vor. Der Versuch, eine komplexe geo-historische Visualisierung der Vorgänge vom Januar 1945 zu erarbeiten, ist Teil des Projektes „Holocaust Geographies“, einer an die Stanford University (Kalifornien, USA) angebundenen Kooperation verschiedener amerikanischer Institutionen.

In der Reihe „Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt“ erinnert Jana Mikota (Siegen) an das Wirken Fanny Arnsteins in der Wiener Salonkultur des 18. und späten 19. Jahrhunderts. Joachim Albrecht (Kamenz) wirft ein Schlaglicht auf die fortwährenden Bemühungen jüdischer Einwohner Dresdens um 1800 um Teilhabe am öffentlichen Raum und insbesondere um das Aufenthaltsrecht im Linckeschen Bad als einem attraktiven zeitgenössischen Ort gesundheitlicher Pflege und Fürsorge.

Janine Doerry (Hannover) kommentiert anhand eines hier dokumentierten Schreibens des Maison du Prisonnier de la Seine (Haus des Kriegsgefangenen des Departements Seine) vom Mai 1943 die Möglichkeiten, jüdische Frauen von französischen Kriegsgefangenen vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu schützen. Die Quelle veröffentlichen wir im französischen Originalwortlaut, ergänzt um eine Übersetzung. Ebenso zweisprachig legen wir den begleitenden Beitrag von Doerry vor. Erst jüngst wurde im Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens das Archiv des von 1871 bis 1935 wirkenden Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel als Bestand situiert. Die Leiterin des Landeskirchenarchives, Carlies Maria Raddatz-Breidbach (Dresden), stellt diesen Zugang zur Dachorganisation europäischer Judenmissionsgesellschaften, der nur in Teilen überliefert ist, vor. Ulrike Pilarczyk (Braunschweig) gibt an ausgewählten Beispielen Einblick in die im Zuge des bildungshistorischen DFG-Projektes „Wandering Images – Die Darstellung jüdisch/israelischer Gemeinschaftserziehung auf Fotografien aus Deutschland und Israel von 1920 bis 1970“ entstandene Sammlung historischer Bildzeugnisse. Diese, von privater und institutioneller Provenienz, sollen nach abgeschlossener Digitalisierung vollumfänglich online und somit leicht zugänglich der weiterführenden Forschung zur Verfügung stehen.

Der Verein erinnern.at legte 2007 die Doppel-DVD „Das Vermächtnis. Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus“ vor, für die ausgewählte lebensgeschichtliche Interviews mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung in Österreich nebst pädagogischen Begleitmaterial für die historisch-politische Bildungsarbeit aufbereitet wurden. Dorothee Wein und Gerda Klingenböck (beide Berlin) würdigen kritisch deren Aufbau wie didaktisches Potential. Gleiches unternimmt Heike Liebsch (Dresden) mit dem online-Lernportal „Spurensuche – Jüdische Friedhöfe in Deutschland“ des Salomon Ludwig Steinheim-Institutes für deutsch-jüdische Geschichte.

Wie gewohnt vermisst eine Reihe von Rezensionen wissenschaftliche Publikationen, aber auch die 2010 im Jüdischen Museum Frankfurt am Main präsentierte Sonderausstellung „Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik“.

Die aktuelle Ausgabe von Medaon wäre ohne die Unterstützung von Wendy Anne Kopisch, Y. Marcela Garcia, Phillip Roth, Stefan Schwarz und allen Gutachterinnen und Gutachtern nicht zustande gekommen; die Korrektur besorgten Cathleen Bürgelt sowie Gunther Gebhard und Steffen Schröter von text plus form – die Redaktion dankt ihnen herzlich.

Die Redaktion von Medaon im Oktober 2010

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Artikel

Angela Schwarz - Jüdische Stiftungen in Hamburg: Das Phänomen der wohltätigen Wohnraumversorgung

Asal Dardan - „I’m changing my image!“ Die Darstellung Holocaust-Überlebender im Spielfilm am Beispiel von Arthur Hillers The Man in the Glass Booth

Berna Pekesen - Die verschwiegene Vertreibung der Juden aus Thrakien 1934

Johannes Wiggering - Kulturelles Zentrum und Kaderschmiede. Jüdische Einflüsse auf die Ausgestaltung der Weißrussischen Staatsuniversität in den 1920er Jahren

Lou Bohlen - Israel jenseits von ‚Heimat‘ und ‚Diaspora‘ – die Perspektive der russischsprachigen Zuwanderer

Sebastian Voigt - „Nous sommes tous des juifs allemands.“ Daniel Cohn-Bendit, Pierre Goldman und der Pariser Mai 1968

Simone Gigliotti and Marc J. Masurovsky - Research report. Spatial Histories of the Holocaust: Mapping the Evacuations from the Auschwitz camp system in January 1945

Miszelle

Jana Mikota - Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt: Fanny von Arnstein und die Salonkultur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts

Joachim Albrecht - Der umstrittene Aufenthalt der Juden im Linckeschen Bad in Dresden um 1800

Quelle

Carlies Maria Raddatz-Breidbach - Das Archiv des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel im Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens

Janine Doerry - „... um das Schlimmste für die jüdischen Frauen von Kriegsgefangenen zu verhindern“. Rettungsbemühungen des Maison du Prisonnier de la Seine im Mai 1943 / « ... éviter le pire aux femmes Israëlites de prisonniers ». Des tentatives de protection de la Maison du Prisonnier de la Seine au mois de mai 1943

Ulrike Pilarczyk - „Auf Hachschara – 1935-1938“. Zionistische Erziehungspraxis im Spiegel öffentlicher und privater Fotografie

Rezension

Andreas D. Ebert: Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870-1924). Eine quantitative Untersuchung mit biographischen Skizzen (Mathias Berek)

Ausstellung: Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik. Именно Германия! Еврейско–русская иммиграция в Федеративную Республику. Jüdisches Museum Frankfurt am Main, 12. März bis 25. Juli 2010 (Jens Hoppe)

Heinrich Demerer: Als Kind in NS-Konzentrationslagern. Aufzeichnungen, hg. von Verena Walter (Elisabeth Kohlhaas)

Julius H. Schoeps: Das Erbe der Mendelssohns. Biographie einer Familie (Daniel Ristau)

Michael Brocke/Margarete Jäger/Siegried Jäger/Jobst Paul/Iris Tonks: Visionen der gerechten Gesellschaft. Der Diskurs der deutsch-jüdischen Publizistik im 19. Jahrhundert (Simone Lässig)

Mirjam Wenzel: Gericht und Gedächtnis. Der deutschsprachige Holocaust-Diskurs der sechziger Jahre (Antonia Schmid)

Sammelrezension: Dokumentationen verstreuter Judaica in Leipzig und Rudolstadt (Gunda Ulbricht)

Siegfried Kracauer: Geschichte – Vor den letzten Dingen, hg. v. Ingrid Belke unter Mitarbeit von Sabine Biebl (Tobias Ebbrecht)

Stefan Koldehoff: Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst (Robert Hodonyi)

Bildung

Gerda Klingenböck und Dorothee Wein - Einblicke in das österreichische DVD-Projekt „Das Vermächtnis. Verfolgung, Vertreibung und Widerstand im Nationalsozialismus“

Heike Liebsch - Guter Ansatz, aber mangelnde schülergerechte Umsetzung. Das online-Lernportal „Spurensuche – Jüdische Friedhöfe in Deutschland“ des Salomon Ludwig Steinheim-Institutes für deutsch-jüdische Geschichte

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